Mit dem Fahrrad durch den Winter

Geschrieben am 5. Februar 2013 von

Als ich mich auf das Bewerbungsgespräch der Firma, wo ich jetzt arbeite, vorbereite, fällt mir auf, dass der Chef als Hobby Radfahren angegeben hat. Er ist sogar in jungen Jahren mit dem Fahrrad quer durch Europa gefahren – 10000 km. Wow! So fällt meine Entscheidung mit dem Rad zum Bewerbungsgespräch zu fahren. Es sind ja auch nur 6 km von unserem Zimmer und wenn ich langsam fahre, bin ich auch nicht durch geschwitzt. In einer Nebenstraße tausche ich noch schnell vor dem Gespräch meine Funktions-Allwetterjacke gegen Hemd und Sakko und meine Sportschuhe gegen Anzugschuhe, die ich mir von unserem Mitbewohner geliehen habe. So spaziere ich perfekt angezogen und mit meinem gelben Fahrradhelm und der knallroten Fahrradpacktasche in das Bewerbungsgespräch. Meine Gesprächspartner staunen nicht schlecht und gleich bekomme ich einen Reihe von Tipps für das Radfahren in Toronto.

Fahrspur auch für Fahrräder

Extrafahrspur auch für Fahrräder

So werde ich vor den Autofahrern gewarnt, die sich mit Fahrrädern nicht auskennen und deswegen sehr gefährlich sein sollen. Unsere Erfahrung ist erstaunlicherweise eine ganz andere. So haben wir ständig das Gefühl Vorfahrt zu haben, die Auto bremsen lieber, wenn sie einen Radfahrer sehen, als irgendwas zu riskieren. So fühlen wir uns hier auf den Straßen viel sicherer als in Deutschland. Hauptstraßen in Toronto sind prinzipiell 3-spurig – pro Richtung. In den Stoßzeiten dürfen aber nur Radfahrer, Taxis, Busse und PKWs mit mindestens 3 Personen die jeweils rechte Spur befahren. So fühlt es sich schon ein wenig eigenartig an, mitten im Berufsverkehr auf einer 6-spurigen Straße unterwegs zu sein. Spaß macht es  nicht wirklich, aber zum Glück gibt es auf dem Weg zur Firma eine der wenigen ausgewiesenen Fahrradrouten die parallel auf Nebenstraßen zu einer solchen Hauptstraße verläuft.

Das Gespräch verläuft erfolgreich und so wird die Bewerbungsgespräch-Fahrradstrecke mein täglicher Arbeitsweg. Meine neuen Kollegen begutachten gleich ganz interessiert mein europäisches Fahrrad. Viele sind nämlich auch begeisterte Radfahrer. Irritationen löst besonders die Beleuchtungsanlage aus. Denn hier gibt es, höre und staune, keine Fahrräder mit Licht zu kaufen. Sodass das festmontierte Fahrradlicht mit Standlicht vorne und hinten sowie der Nabendynamo völlig unbekannt sind. So bekomme ich eines Morgen den Tipp, dass mein Licht noch an ist und als ich meine, dass es automatisch aus geht, werde ich gefragt wie lange die Akkus reichen. Als ich erzähle, dass ich den Strom selber erzeuge, kommt der Arbeitskollege aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Winterliches Radfahren

Auf dem Weg zur Arbeit

Nach den ersten Tagen auf meiner neuen Arbeit fragt mich mein Chef, ob ich vorhabe, den ganzen Winter Fahrrad zu fahren. Klar! Daraufhin teilt er mir mit, dass er auch bei -20 °C Rad gefahren ist, das sei aber schon lange her. Als er merkt, dass ich unsicher werde, ob es denn wirklich eine gut Idee ist, auch im Winter zu fahren, gibt er mir Tipps, was ich alles für -20 °C benötige. Wichtig ist vor allem eine Mütze, die so aussieht, also würde man gleich eine Bank überfallen wollen. Und er bietet mir Winterreifen mit sogenannten Spikes an, die sich in den Boden krallen und man so auch auf Eis Radfahren kann. Ein paar Tage später kommt er wirklich mit passenden funkelnagelneuen Winterreifen der deutschen Marke Schwalbe an, die er mir schenkt. Er brauche sie nicht mehr und außerdem sei ja bald Weihnachten. So wird es draußen immer kälter und die ganze Belegschaft wartet gespannt darauf, wann ich nicht mehr Radfahre. Der Grund ist nämlich, dass jedes Jahr ein inoffizieller Award an denjenigen vergeben wird, der als erstes im neuen Jahr mit dem Rad zur Arbeit kommt. Typischerweise soll das im März/April sein. Naja, am 2. Januar, der erste Arbeitstag im neuen Jahr, fahre ich natürlich auch Rad und nehme so dem Award den Reizt. Als es dann -18 °C kalt wird, gelte ich bei allen als verrückt und bin wohl der einzige nach dem Chef der bei solchen Temperaturen noch mit dem Fahrrad unterwegs ist.

2 Kommentare zu Mit dem Fahrrad durch den Winter

  1. Thorsten u.Andrea

    Hallo ihr beiden,
    Respekt Albrecht -18°C sind schon eine Ansage.Nach einem erneuten Wintereinbruch fallen Deutschland u. Europa in ein Schneechaos.Wie wird Schnee und Eis in Kanada gehandhabt?Rücken bei kleinsten Schneeflocken Armeen von Räumfahrzeugen aus und verteilen tonnenweise Salz ?

    lg Thorsten & Andrea

    • Albrecht

      Die Armeen von Räumfahrzeugen konnten wir nicht beobachten. Allerdings verwenden sie hier auch Baumaschinen, um den Schnee von der Straße zu schaffen. Zum Beispiel fährt ein Radlader mit seiner Schaufel die Straße entlang und schiebt den Schnee beiseite.
      Was das Salz angeht, sind sie hier wirklich großzügig. Da schmilzt der Schnee und das Eis sogar bei -18°C. Die Fenster der Stadtbusse, die anscheinend nicht so oft gereinigt werden, sind mit einer dicken Schicht aus Salz überzogen, sodass man nicht mehr hindurchgucken kann und nur durch die Frontscheibe sieht, wo man sich gerade befindet.

      Viele liebe Grüße ins hoffentlich bald wieder frühlingshafte Hamburg.