Bärenstarker Abschied

Geschrieben am 28. Oktober 2013 von

Langsam nähert sich unser Aufenthalt in Kanada seinem Ende. Zehn Monate haben wir in diesem Land verbracht und viel Neues gesehen und erfahren. Wir haben die Kälte und den Schnee des Winters in Toronto, Ottawa und im Algonquin-Park beim Wintercamping ausgehalten, wir haben die Ahornsirupernte als ersten Frühlingsboten kennengelernt, wir sind im Regen und im Sonnenschein durch die Provinz Québec geradelt, wir haben die Weite des Landes im Greyhound-Bus durchquert und wir haben schließlich auch die so viel gerühmte Wildnis in British Columbia gesehen. Nur eines fehlt uns noch auf der Liste der typisch kanadischen Erlebnisse: Eine echte Bärenbegegnung

Langsam begannen wir uns zu fragen, wo den nun die ganzen Bären sind

Langsam fragen wir uns, wo denn nun die ganzen Bären sind

Seit wir in diesem Land angekommen sind, haben wir uns Gedanken gemacht. Schließlich sollen ja Bären in ganz Kanada verbreitet sein. In Toronto wussten wir uns zwar sicher aufgehoben, aber wir wollten auch in ländlicheren Gegenden Rad fahren und im Zelt schlafen. Aber auch hier wurden wir schnell beruhigt, dass Bären sich doch nur in den Wäldern im Norden aufhalten und nicht so weit in den Süden kommen. Als wir dann einmal in einem Nationalpark weiter im Norden übernachteten, war auch hier die Reaktion auf unsere Nachfrage so sorglos, dass wir uns langsam zu fragen begannen, wo denn nun eigentlich die ganzen Bären in Kanada sind.

Erst als wir nach British Columbia kamen, wurde es dann tatsächlich etwas ernster. Es gab „bärensichere“ Mülleimer, die mit einem für Bärentatzen zu komplizierten Verschlussmechanismus versehen waren, die Läden verkauften Bärenspray zur Selbstverteidigung im Notfall, im Nationalpark waren mehrere Wege wegen Bärensichtungen gesperrt und wir begegneten Wanderern mit Glöckchen am Gürtel, die die Bären vertreiben sollen, bevor man ihnen begegnet. Denn die eigentliche Gefahr, so lernten wir, besteht nicht darin, dass der Bär auf die Menschen aufmerksam wird, sondern darin, dass er von ihnen überrascht wird und sich in die Enge getrieben fühlt. Wir hatten auf unseren Wanderungen keine Glöckchen dabei, bekamen aber trotzdem keinen einzigen Bären zu Gesicht. Auch während wir mit dem Wohnwagen unterwegs waren, ist kein einziger Bär über die Straße gelaufen und auf den Zeltplätzen mit Bärenwarnung blieb des Nachts alles ruhig.

Dunkel ragen die Gipfel der benachbarten Berge aus der Wolkendecke hervor

Dunkel ragen die Gipfel der benachbarten Berge aus der Wolkendecke hervor

So ergreifen wir in den letzten Tagen, die wir in Kanada verbringen, selbst die Initiative. Um noch einen richtigen Bären von Nahem zu sehen, besuchen wir eine Pflegestation. Schon allein die Fahrt dorthin in einem Sessellift ist lohnenswert. Unten im Tal bedeckt eine dichte Wolkendecke den Himmel, die wir aber durchbrechen und so auf einmal von oben auf die Wolken blicken. Wer schon einmal in den Alpen etwas Ähnliches gesehen hat, weiß, wie herrlich es aussieht, wenn die mächtigen Gipfel der benachbarten Berge dunkel aus den von der Sonne angestrahlten Wolken ragen. Als wir aus dem Lift aussteigen, haben wir aber nur kurz Zeit, diesen Anblick zu genießen, denn schon hat uns der Wildhüter der Pflegestation entdeckt. „Wollt Ihr Boo (so heißt der Bär) von Nahem sehen? Dann kommt schnell her!“ Und tatsächlich läuft Boo gerade gemächlich am Zaun seines Geheges entlang, wo Möhren, Kartoffeln und andere Leckerbissen für ihn versteckt sind.

Boo, der Grizzly

Boo, der Grizzly

Boo ist ein Grizzlybär, dessen Mutter von Wilderern erschossen wurde, als er fünf Monate alt war. Seine Pfleger umzäunten ihm ein 22 Hektar großes Areal, in dem er sich frei bewegen und nach Nahrung suchen konnte, gaben ihm aber auch zusätzliches Futter. Er war ein interessantes Forschungsobjekt, da die Pfleger an ihm sehen konnten, was ein Bär an angeborenen Instinkten mitbringt und was er von seiner Mutter erlernt. So fing Boo an, sich für den Winter eine Höhle zu bauen, ohne dass es ihm jemand gezeigt hätte. Die ersten Versuche waren nicht bewohnbar, sodass die Pfleger ihm eine andere Höhle errichteten mussten, in der er überwintern konnte. Boo lernte aber bald dazu und so baut er inzwischen seine eigenen Höhlen. Da Boo mehrmals aus seinem Gehege ausgebrochen ist und für einige Zeit in der Wildnis überlebt hat, gehen die Pfleger davon aus, dass er einem solchen Leben gewachsen wäre. Allerdings ist er so an Menschen gewöhnt (der Pfleger steht mit dem Rücken zu ihm, als er mit uns spricht), dass er sich ihnen wohl zutraulich nähern würde, anstatt wegzulaufen. Dies würde zu gefährlichen Begegnungen führen, die alle Verantwortlichen lieber vermeiden möchten, und so verbleibt Boo in der Pflegestation.
Während dieser ganzen Erklärungen hat Boo fertig gefressen und sich auf den Weg zu einem Schlammloch gemacht, wo er genüsslich badet. Danach verschwindet er zu einem Mittagsschläfchen im Gebüsch. Wir haben genug gesehen und fahren zufrieden hinab ins Tal. Nachdem wir nun auch einem echten Bären hautnah begegnet sind, können wir Kanada getrost verlassen, ohne eine der Hauptattraktionen verpasst zu haben.

2 Kommentare zu Bärenstarker Abschied

  1. Sonne

    Doch ihr habt eine Attraktion verpasst! Die Wölfe! ;)